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Stand: 20.07.2018

Thüringische Faser AG Rudolstadt-Schwarza

Verkauft an windige Investoren aus Indien
Es schien gut auszusehen für die Thüringische Faser AG Schwarza, als das frühere Chemiefaserkombinat an einen Inder vergeben wurde. Doch weil die Treuhand sich blenden ließ, wurde aus dem Superdeal einer der skandalösesten Kriminalfälle in der kurzen Treuhand-Geschichte.

Die Meldung verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch ganz Deutschland. In Berlin werden am 23. Juni 1993 drei Manager der indischen Dalmia-Gruppe festgenommen. Der Vorwurf: Untreue und Betrug. Die Brüder Sanjay und Anurak Dalmia sollen bei der Übernahme der Thüringischen Faser AG in Schwarza zum Nachteil der Treuhand 9 Millionen Mark abgezogen und illegal in ihre indischen und malaysischen Firmen gesteckt haben.

Zwar kommen die beiden Unternehmen und ein weiterer indischer Angestellter nach rund 24 Stunden wieder frei. Trotzdem ist der Fall spektakulär. Der Ruf der Treuhand-Anstalt ist nicht der beste. Sie soll die volkseigenen Betriebe in die Marktwirtschaft überführen, den Menschen im Osten Arbeitsplätze und Einkommen sichern. Zu oft gelingt das nicht. Stattdessen ist von dubiosen Geschäften, windigen Abwicklern und in die eigene Tasche wirtschaftenden Beratern aus dem Westen die Rede. Betriebe würden zerschlagen und die Filetstücke in einer Art Gefälligkeits- und Scheckbuchpolitik verramscht. Konkrete juristische Schritte aber sind selten.

Am Ende gehört die Thüringische Faser AG zu den großen Betrugs- und Kriminalfällen der Treuhand, die das kleine Schwarza in den Fokus internationaler Ermittlungen rücken.

Bis 1989 ist das Chemiefaserkombinat "Wilhelm Pieck" in Schwarza ein volkseigener Betrieb mit 6000 Beschäftigten. Am 23. Mai 1990 stimmt die Belegschaft des Stammbetriebes der Umwandlung in die Thüringische Faser AG zu. So soll die Leistungs- und Handlungsfähigkeit des Unternehmens in der Marktwirtschaft gesichert werden. Für die Zukunft forderte die Belegschaft die vertrauensvolle Zusammenarbeit und Einbeziehung durch die Firmenleitung.

Anfang April 1991 hat die Thüringische Faser 3990 Mitarbeiter. Die Zahl reduziert sich bis zur Privatisierung im Oktober 1991 auf nur noch rund 1200 Arbeitnehmer.

Deren Zukunfstperspektive scheint, trotz negativer Sanierungs-Prognosen, durchaus gut zu sein. "Wenn Inder in Thüringen zum Glücksfall werden", titelt eine große deutsche Zeitung, als der Dalmia-Konzern das Werk im Spätherbst 1991 übernimmt. Der Kaufpreis beträgt 1 DM. Mit der Übernahme-Botschaft übermittelte Sanjay Dalmia, Chef des gleichnamigen Konzerns mit Sitz in Neu-Delhi, "die Grüße des ganzen indischen Volkes".

Nicht kleckern, sondern klotzen, heißt die Devise. Vollmundig verspricht Dalmia den Erhalt der 1200 Arbeitsplätze und für die nächsten drei Jahre Investitionen in Höhe von insgesamt 150 Millionen Mark.

Grund für Zweifel sieht offenbar niemand: Dalmia wird als Sanierungsexperte präsentiert, dessen Firmen-Konsortium bereits in Ungarn und in der Türkei marode Textilbetriebe aufgekauft und erfolgreich auf Vordermann gebracht habe. Der so gepriesene Käufer weiß sich zu revanchieren: Immerhin sei Deutschland ein freundliches Land und das Herz Europas, dem man unbedingt näher- kommen wolle, schmeicheln die Inder beim Sekt zurück.

Dabei hätte die Treuhand durchaus stutzig werden können und müssen: Vorherige Investoren, die das Werk im Süden Thüringens besichtigten, hatten schon nach kurzer Zeit abgewunken. Es war nicht nur der marode Zustand, der sie abschreckte. Auch Überkapazitäten und Preisverfall auf den Weltmärkten ließen offenbar ein Engagement als zu großes Risiko erscheinen.

Mag man der Treuhand auch zugute halten, dass sie an den Erhalt der Arbeitsplätze glaubt - schon zwei Jahre später steht letztlich sie als großer Verlierer in der Kritik. 450 Millionen wurden in die Faser AG gesteckt: Man hat 200 Millionen DM Altschulden und 210 Millionen Liquidationskredite übernommen und obendrein das Kapital der Gesellschaft von 100.000 DM um 40 Millionen DM aufgestockt.

1993 ist davon wie auch von den blumigen Versprechungen der Inder nicht mehr viel da. Von den angeblich 150 Millionen DM Investitionen sind gerademal 500.000 DM in das Werk geflossen.

Im Juli 1993 eröffnet das Kreisgericht Gera das Konkursverfahren gegen die Faser AG. Den Antrag dazu stellen Gläubiger des Unternehmens, darunter ein Erdgasversorger aus Leipzig, dessen Rechnungen in Höhe von 3 Millionen DM nicht bezahlt wurden. Insgesamt belaufen sich die Verbindlichkeiten des Unternehmens auf über 12 Millionen D-Mark.

Die Gesamtbilanz nach zwei Jahren indischer Firmenleitung ist verheerend. Der Verlust des Vorjahres 1992 beläuft sich auf 30 Millionen. Der für 1993 geplante Umsatz in Höhe von 140 Millionen DM ist nicht annähernd zu erreichen.

Zudem haben die neuen Hausherren offenbar von Thüringen aus Geschäfte und Einkäufe für ihre asiatischen Firmen veranlasst, durch die dem Thüringer Betrieb zusätzliche Millionen-Verluste entstanden. Nach Angaben des eingesetzten Sequesters Winfried Andres stehen 2000 Arbeitsplätze - 1200 bei der Faser AG und weitere 800 in ausgegründeten Betrieben des früheren Chemiefaserkombinates - vor dem Aus. Vermutet wird, dass die nach Fernost transferierten 9 Millionen DM aus dem Firmenvermögen malaysische Finanzierungslöcher stopfen sollten.

In einer Pressemeldung der Treuhand vom 21. Oktober 1993 heißt es: "Inzwischen hat die Überprüfung der StabsteIle Recht der Treuhandanstalt ergeben, daß gegen die Gebrüder Dalmia der dringende Verdacht des Betruges zum Nachteil der Treuhandanstalt besteht."

Die Verantwortung dafür sieht Sequester Andres bei eben dieser Treuhand. Zeitungen zitieren aus einem 12-seitigen Brief an den zuständigen Treuhand-Vorstand Klaus Schucht, in dem die Vorgehensweise der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums kritisiert wird. Die Treuhand habe den Käufer der Thüringer Faser nicht fundiert geprüft, heißt es dort. Bilanzen wurden nicht eingefordert .

Bei der zuständigen Gewerkschaft IG Chemie spricht man von einer "Strafrechtlich relevanten Weise", in der sich die Dalmia Gruppe den Betrieb erschlichen und schließlich ausgeplündert habe.

Juristisch belangt werden können die Dalmia-Brüder nicht. Die Einschätzung bedenklicher Treuhand-Aktivitäten teilt aber auch der 1994 eingesetzte Treuhand-Untersuchungsausschuss des Bundestages (TUA). Im März 1994 werden dort ein knappes Dutzend Insider, Treuhand-, Unternehmens- und Gewerkschaftsvertreter zum Fall der Thüringischen Faser AG vernommen.

Die im Bundestagsarchiv verwahrten Befragungsprotokolle zeichnen ein ebenso trauriges wie denkwürdiges Bild über die Arbeitsweise der Treuhand. Die Anhörung untermauert, dass es weder eine formale Überprüfung der Bonität der Dalmia-Gruppe noch ihrer Zwischengesellschaften gab. Auch eine Bankbürgschaft wurde von den Dalmias nicht eingefordert.

Stattdessen habe sich die Treuhand auf good-will-Erklärungen deutscher Geschäftspartner von Dalmia verlassen. Die Verantwortlichen hätten auch nicht reagiert, als der Erwerber seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllte und nach der Übernahme der Faser AG 9 Millionen DM entzog und nach Kuala Lumpur überwies.

Einer der von den Abgeordneten einbestellten Geschäftspartner der Inder ist der Duisburger Manager Rolf Melcher. Er hatte die Dalmia über die Investmentbank Translink an die Treuhand vermittelt. Angesprochen auf die Bonitätsprüfungen für die versprochenen 150 Millionen-Investitionen, sagt Melcher vor dem TUA: "Ich bin lediglich gebeten worden, Auskünfte in Form von Geschäftsberichten und Bilanzen beizubringen, was ich auch getan habe. Welche anderen Aufgaben jetzt die Treuhand noch hatte, um die Bonität der Dalmia-Gruppe zu verifizieren, entzieht sich meiner Kenntnis."

Diese anderen Verifizierungen gibt es nicht. Der Treuhand-Abwickler Friedrich Rehm spricht vor dem TUA lediglich von Firmen-Prospektmaterial, das vorgelegt worden sei. Was der entsetzte Ausschuss-Vorsitzende Otto Schily laut Protokoll mit dem Ausruf kommentiert: "Ein Prospekt, aber, Entschuldigung, das ist doch keine Bonitätsprüfung, ein Prospekt! Das brauche ich Ihnen doch nicht zu sagen."

Die Treuhand gab ein Unternehmen und Millionen aus Volkseigentum und Steuergeldern quasi auf Zuruf weiter und entschied so über das Schicksal Hunderter Thüringer.

Ob und wie viel Vermittler Melcher und andere für den Deal kassierten, konnte der TUA nicht erhellen. Bei der beteiligten Translink sei eine Provision von 250.000 DM im Gespräch gewesen, gibt Rolf Melcher an, genau wisse er das aber nicht.

Für die Belegschaft kommen diese Informationen eh zu spät. Man sei davon ausgegangen, dass die Treuhand die Bonität überprüft, "das macht doch jeder normale, vernünftige Geschäftsmann", gibt der Betriebsratsvorsitzende Jürgen Völkerling vor dem TUA zu Protokoll.

Vergeblich demonstrieren und protestieren die Faser-Mitarbeiter in den nächsten Monaten für den Erhalt ihres Betriebes. Die Gesamtvollstreckung lässt sich nicht verhindern.

Letztlich aber gibt es dann doch noch ein paar Lichtblicke. Auf dem einstigen Firmengelände entsteht mit Unterstützung des Landes der Industriepark "Rudolstadt - Schwarza". Derzeit sind dort fast 60 Betriebe mit 2000 Arbeitsplätzen ansässig, darunter auch Polymer- und Faser-Hersteller.

Im September 2011 meldet sich auch Insolvenzverwalter Andres noch einmal zu Wort. Die OTZ in Gera meldet, dass die Bank in Malaysia die dort als Festgeld angelegten Schwarzaer Gelder zurückzahlen muss. Damit haben die Gläubiger 19 Jahre nach der Insolvenz die Chance, ihr Geld doch zurückzubekommen.

von Hanno Müller

http://ta-treuhand.de/525-0-Steckbrief-der-Thueringischen-Faser-AG-Rudolstadt-Schwarza.html?stage=460-0#460-0-Thueringische-Faser-AG-Rudolstadt-Schwarza.html

Mitarbeiterin im Chemiefaserkombinat Rudolstadt-Schwarza, aufgenommen in den 1970ern. Archivfoto: Liebers