Napoleon in Thüringen

Als die französischen Truppen im Oktober 1806 in Thüringen einbrachen, hatten die Bewohner der kleinen Städte und stillen Dörfer seit über 40 Jahren keinen Krieg mehr erlebt. Wie ein Gewitter brach es nun über sie herein. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sahen sie Ritter, Tod und Teufel durch ihre kleinstaatliche Idylle reiten - eine Spur der Verwüstung, zerbrochene Schicksale, Not und unendliches Leid hinterlassend.

Beherzte Männer haben zur Feder gegriffen und den Schrecken in Worte gebannt. So sind zahlreiche Erinnerungen von Thüringern an jene Tage erhalten geblieben und legen Zeugnis über die Greuel des Krieges ab. Lustig ist es im Thhüringer Land damals nicht gewesen. Über den Einmarsch der Franzosen am 8. Oktober berichtete ein Einwohner aus Ebersdorf: "Der Durchzug der leichten Cavallerie hatte bis 1/2 4 Uhr ununterbrochen fortgedauert, als die letzten Regimenter oben vor dem Ort Halt und Anstalten zum Nachtlager machten. Getümmel und Unruhe, nahmen mit diesem Augenblick zu, und schon machten Soldaten beim herrschaftlichen Magazin einen Anfang zum Plündern. Von da, kaum durch strenge Mittel zueilender Sauvegardes abgewehrt, drangen sie, wo sie nur konnten, unaufhaltbar in die Häuser und anderen Gebäude und verlangten oder raubten mit Gewalt Lebensmittel, Heu, Stroh, Hafer, ohne bei diesem stehen zu bleiben. Eines unserer Eckhäuser, das unser Organist, Br. Menz, bewohnt, wurde zuerst räuberisch angefallen, Fenster, Türen, Schränke erbrochen und was irgend anstand, rein weggeplündert, so daß er für seine Familie keinen Bissen und für sein kleines Kind keinen Tropfen Getränk im Hause behielt, ein Mangel, der in solcher Lage gar nicht zu beheben war ..."

Nach der Schlacht bei Jena Auerstedt

Außerdem strömten in Weimar wie in Jena und an vielen anderen Orten, die aus der Schlacht zurückkehrenden zusammen, die das Glück hatten, nicht verletzt zu sein. Neue Einquartierungen, neue Plünderungen, neue Quälereien beherrschten die Szene. Die Menschen in den Dörfern waren vor der sich heranwälzenden Kriegsfurie geflohen. Als sie am Abend nach der Schlacht zurückkehrten, sahen sie Zerstörung ringsumher. Beispielhaft für die ganze Region war der ausführliche Augenzeugenbericht des Gutsherrn von Auerstedt, Friedrich von Zedtwitz: "Diese Canonade, das unausgesetzte kleine Gewehrfeuer und der schreckliche Anblick der Verwundeten, die unter Fluchen und Winseln halb nackend, um sich zu retten in das Schloß krochen, war die erste schreckliche Szene; das stete Sausen und Zischen der Kugeln, deren soviele durch das Dach, durch die Schornsteine, an die Hausecken, durch die Wirtschaftsgebäude, durch Thore und Thüren Flogen, deren Krachen und Prasseln man in jeden Winkel des Hauses deutlich hören konnte und das fortgesetzte wüthende Kriegsgeschrei verbreitete Schrecken und Entsetzen über die Anwesenden... Nachmittags entfernte sich die Canonade nach Weimar hin, und in diesem Augenblickke brachen die aus der Schlacht kommenden Franzosen wüthend ins Ritterguth, raubten Wein, Pretiosa, alles Geld, alle Pferde und alles Rindvieh, sogleich alle Kleider, Wäsche jeder Art und alles, was nur einigen Werth hatte, und zerstörten alles, sodaß, da mehrere tausend Mann bivouaqirten, man immer unter fremde Plünderer fiel und immer gleich Attentate aufs Leben befürchten mußte, weil wir nichts mehr zu geben hatten...

Die Nachricht vom Brande erscholl nun erst, da man den brandigen Geruch bemerkte, und das Schrecken vermehrte sich, als man alles in Flammen stehen sah... allein so wie man sich blicken ließ, kam man unter neuer Plünderer, welche vermutlich in der Überzeugung, daß man noch etwas wegbringen wolle, alle Schubsäcke wiederum visitirten, und ebenso, wie vorher im Guthe geschen, mit den Bajonets zu erstechen drohten. Auf diese Art bekam der Postmeister Junge eine leichte Stichwunde in den Arm. Im Dorfe löschte niemand, weder Einwohner noch Soldaten, erstere aus Furcht vor Mißhandlungen, letztere ausPlünderungseifer ... Solchem nach verbrannte die Hälfte des Dorfes ... Nun entschloß man sich ...die Nacht unter freyem Himmel in dem aller Paßage offnen Garten hinzubringen,... ob man gleich bey dem Mangel an Kleidungs-Stücken der größten Kälte ausgesetzt war, die noch durch Hunger vermehrt wurde, indem man seit dem 13ten Mittags nur etwas gegessen hatte, alles aber rein ausgeplündert und aufgezehrt war ... Am anbrechenden Morgen begab man sich wiederum ins Guth, um sich einigermaßen auszuwärmen, wo man zwar die Ritterguthsgebäude vom Brande unversehrt, jedoch immer noch die Plünderer zu 30 - 40 Mann hinein- und hinausziehend und mehrere Soldaten, das Vieh im Hofe schlachtend, antraf ..."

aus: Detlev Jena/Rüdiger Stolz - "Spuren der Geschichte - Napoleon in Thüringen"

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Stand: 23.05.2023