Copyright © 2018 Ursula Neumann
Stand: 06.03.2019

"Kein Kaffee, kein Kuchen und kein Theater"

Altersarmut in Deutschland

Wer in Deutschland arm ist, hat weniger als 917 Euro im Monat. So hoch ist derzeit die so genannte Armutsgefährdungsschwelle. Unter dieser Schwelle findet man besonders häufig Arbeitslose und Alleinerziehende. Aber auch eine dritte Gruppe ist immer öfter betroffen: Viele Rentner leben in Deutschland an der Armutsgrenze, das zeigen aktuelle Zahlen.

Ein kaputter Kühlschrank wäre ein wahres Drama

Laut Statistischem Bundesamt waren im vergangenen Jahr 14,4 Prozent der über 65-Jährigen arm. Bei den Rentnern sind es sogar 15,6 Prozent. Und das ist ein Problem, sagt Johannes Geyer, Sozialexperte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): "Wer am Ende des Lebens arm ist, kann selbst an seiner Situation nicht mehr viel ändern. Und selbst wenn die Quote bei den Älteren im Vergleich zu Alleinerziehenden nicht mal halb so hoch ist, bedeutet es trotzdem, dass da jemand nicht mehr um die Runden kommt."
Das sieht auch Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes so: "Da braucht nur mal ein Kühlschrank kaputt gehen. Aber auch für Vergnügen reicht das Geld nicht. Kein Kaffee und Kuchen, kein Theater, keine Weihnachtsgeschenke für die Enkelkinder."

Immer mehr arme Rentner

Ein weiteres Problem bei den armen Alten: Sie werden immer mehr. 2006 waren 10,3 Prozent der Rentner von Armut betroffen, heute sind es schon 15,6 Prozent. Das ist eine Steigerung von 51 Prozent. "Die Quote der altersarmen Rentnerinnen und Rentner hat so stark zugelegt wie in keiner anderen Bevölkerungsgruppe”, sagt Schneider. Die Gründe dafür sind komplex: Die große Arbeitslosigkeit nach der Wende und die Entwicklung der Renten in den letzten Jahren sind dabei sicher nur zwei Beispiele.

Risikogruppe Frau

Besonders betroffen von Altersarmut sind Frauen und Witwen. Die Gründe dafür sind laut Ulrich Schneider eindeutig: "Frauen sind schlechter abgesichert, die Witwenrente ist nicht die volle Rente, die der Ehemann bekommen hätte und Frauen werden älter als Männer." Aber auch lange Baby- und Erziehungspausen schlagen später auf dem Rentnerkonto zu Buche. Das ist unter anderem ein Grund dafür, dass die Armutsquote bei Rentnerinnen in Westdeutschland höher ist (16,9 Prozent) als bei Rentnerinnen in Ostdeutschland (13,4 Prozent), wo Frauen nach der Geburt für gewöhnlich früher wieder ins Arbeitsleben zurückgekehrt sind.

Arbeitslose sind gefährdet, auch im Alter arm zu sein

Langzeitarbeitslose sind ebenfalls eine Risikogruppe für Altersarmut. Denn grundsätzlich gilt: Wer weniger Jahre arbeitet, zahlt weniger in die Rentenversicherung ein und bekommt am Ende weniger Rente raus. "Um später nicht in Armut zu enden, sollte man am Ende seines Arbeitslebens etwa 35 Versicherungsjahre zusammen haben", sagt Ulrich Schneider.

Stundenlöhne unter 13 Euro reichen nicht!

Aber was, wenn man in seinem Leben zwar viele Jahre gearbeitet, dabei aber wenig verdient hat? Laut Ulrich Schneider ist das ein Problem: "Bei einer Vollzeittätigkeit wäre ein Lohn von 13 bis 14 Euro in der Stunde notwendig, damit man am Ende des Lebens über den Grundsicherungssatz von aktuell 399 Euro kommt. Aber ein Drittel der Bevölkerung hat das momentan nicht." Da hilft auch der Mindestlohn nicht: "So viele Versicherungsjahre kann man gar nicht schaffen, damit man bei 8,50 Euro in der Stunde am Ende nicht in Armut landet."

Keine Besserung in Sicht

Die Prognosen für die Zukunft sind schlecht. Das liegt aber nicht nur an den Niedriglöhnen jetzt, sondern auch an der Massenarbeitslosigkeit in den 90er Jahren und um die Jahrtausendwende. Die Menschen, die damals keine Arbeit hatten, kommen bald in das Rentenalter. Generell werden Gruppen, die heute schon gefährdet sind, wohl auch in Zukunft noch von Armut im Alter bedroht sein. Nur bei den Frauen könnte sich laut Johannes Geyer ein kleiner Gegentrend abzeichnen, weil die sich immer besser im Arbeitsmarkt integrieren.

Die Politik hat keine Lösung

Ein politisches Konzept, um diesen Trend zu stoppen, gibt es bislang nicht. Wer später in der Rente nicht arm sein will, sollte deswegen selbst aktiv werden und so viele Versicherungsjahre wie möglich sammeln. Ein Ratschlag, den leider gerade die Betroffenen in den Risikogruppen kaum befolgen werden können.

"Seien Sie nett zu Ihren Kindern"

Zusätzlich wird eine private Altersvorsorge immer wichtiger und die kann auch über eine normale Zusatzversicherung hinausgehen: "Wer kann, sollte Eigentum erwerben", sagt Ulrich Schneider. "Und nett zu seinen Kindern sein. Denn wer keine Kinder, Familie oder ein anderes soziales Netz hat, das ihn im Notfall auffängt, hat später ein Problem."

Autorin: Nicole Ficociello

 

Strategien gegen steigende Altersarmut

 Alt sein, arm sein?

Von Catalina Schröder

Immer mehr alte Menschen in Deutschland kommen mit ihrer Rente nicht mehr aus. (imago stock&people)

Die Armut bei Rentnern in Deutschland nimmt zu: Einige Ökonomen glauben, dass dieser Trend sich aufhalten oder zumindest abmildern lässt. Unsere Nachbarländer Österreich und Niederlande gelten als Vorbilder in Sachen ausreichende Altersbezüge.

Obwohl Deutschland eines der reichsten Länder der Welt ist, leiden immer mehr Rentner unter Altersarmut: Heute sind rund 16 Prozent aller Rentner davon bedroht, bis 2036 sollen es etwa 20 Prozent sein. Es gibt Ökonomen, die glauben, dass dieser Trend sich noch aufhalten, zumindest aber abmildern ließe.

Zwei unserer Nachbarländer gelten als Vorbilder in punkto ausreichende Rente: In den Niederlanden gibt es das sogenannte Cappuccino-Modell, ein dreiteiliges System aus einer Grundrente, einer betrieblichen und der privaten Altersvorsorge. Es führt dazu, dass (die meisten) niederländische Rentner genauso viel Geld zur Verfügung haben wie zu der Zeit, als sie noch gearbeitet haben. Auch in Österreich gilt als oberster Grundsatz, dass die Rente im Alter den Lebensstandard sichern muss. Nach 45 Jahren im Berufsleben bekommt ein Rentner etwa 80 Prozent seines durchschnittlichen Bruttoeinkommens.

Wie finanzieren die Niederländer und die Österreicher ihre Modelle? Was könnte Deutschland sich von diesen Ländern abgucken? Und wie geht es den niederländischen und österreichischen Rentnern damit?

Drei Frauen, drei Länder, drei Rentenkonzepte

Evelyn Meyer-Globig:
"Ich hab es nicht verdient. Ich hab immer gearbeitet. Ein Leben lang arbeiten, zwei Kinder, die in Lohn und Brot sind, die auch in die Sozialversicherung einzahlen. Ehrenamtlich mich für Leute gekümmert. Und jetzt am Ende muss ich so knapsen. Das ist nicht richtig."
"Ja, so 130 Euro bleiben über. Da ist also Haushaltsgeld schon abgerechnet, aber: Tanken, Friseur, Vergnügen, Kleidung. Sowas. Enkelmädchen."

Mariet van der Broeck:
"Ich bin sehr zufrieden. Ich bin sehr, sehr zufrieden."
"Dann kann ich jedes Jahr mit meiner Tochter in Ferien fahren, in Urlaub fahren."
"Erst war Türkei und jetzt ist ein paar Mal Griechenland gewesen und Spanien ist gewesen und was wir jetzt in September machen, das weiß ich noch nicht."
"Da freue ich mich jedes Jahr drauf. In Januar fange ich schon an. Ja, eigentlich in September, wenn wir zurück sind, fange ich schon an wieder zu sparen, jedes Mal ein bisschen weg zu tun."

Monika Frener:
"Bei uns ist es auch so: 13., 14. Gehalt legen wir auf ein eigenes Konto. Und da werden alle extra Zahlungen gemacht, was weiß ich: Öllieferung, fürs Haus und wenn man Service hat am Auto, wenn man Kühlschrank oder Waschmaschine braucht oder diese Sachen, die man einfach dann halt hernehmen kann und das geht sich leicht aus."

Drei Rentnerinnen, drei Länder, zwei Welten: reich und arm. Maria Frener aus Österreich ist 70 Jahre alt, Mariet van der Broeck aus den Niederlanden und Evelyn Meyer-Globig aus Bremen sind beide 66.

Alle drei Frauen jahrzehntelang berufstätig

Alle drei Frauen waren jahrzehntelang berufstätig. Mit ihrem Gehalt sind sie stets zurechtgekommen, im Luxus gelebt hat keine von ihnen. Alle drei haben Kinder bekommen und sind deshalb für mehrere Jahre aus dem Beruf ausgestiegen oder haben in Teilzeit weitergearbeitet. Zwei von ihnen kommen heute gut mit ihrer Rente aus: Sie machen regelmäßig Urlaub, leben in geräumigen Häusern und haben Geld, um ins Café zu gehen, Freunde oder ihre Enkelkinder zu beschenken, wenn ihnen danach ist. Diese beiden Rentnerinnen leben in den Niederlanden und in Österreich.

Die dritte Rentnerin heißt Evelyn Meyer-Globig und lebt in einer kleinen Bremer Mietwohnung, in der es ihr im Winter oft zu kalt ist. Verreist ist sie seit Jahren nicht mehr. Ein Café-Besuch oder Geschenke für ihre beiden Enkelkinder sind nur ganz selten drin:

"Es war ein kleiner Zirkus hier in Bremen. Und dann dachte ich: Ich hab ne Enkelin von vier Jahren, die war noch nie im Zirkus – mit der gehste mal in den Zirkus. Ich geh hin und frage nach Eintrittskarten. So ein kleiner, Mini-Zirkus. 32 Euro. So, aber nur meine Karte. Kinderkarte kommt noch dazu. Es war klar: Ich kann mit ihr nicht in den Zirkus gehen. Die war bis heute noch nie in einem Zirkus. Nun ist sie erst vier, vielleicht hat sie ja noch die Chance. Aber ich kann nicht mit ihr nach Bremerhaven in den Kleintierzoo: Eintrittspreise, Fahrpreise, das ist alles zu viel."

Jahrzehntelang war Evelyn Meyer-Globig davon ausgegangen, dass sie im Alter finanziell gut zurechtkommen wird. Sie war fleißig, das kann man sagen, ohne zu übertreiben:

"Also ich habe die ersten zehn Jahre meines Lebens als Großhandelskauffrau gearbeitet und hab dann umgeschult und bin Krankenschwester geworden. Und die letzten 14 Jahre kurz vor der Rente war ich dann im OP, im Augen-OP. Immer Vollzeit, immer. Als ich die beiden Kinder hatte, hab ich dann manchmal ne Nachtwache gemacht oder eine Extra-Wache im Krankenhaus, um nicht rauszukommen."

Zwölf Jahre hat Evelyn Meyer-Globig eine Pause vom Job gemacht, als Mitte der 80er im Abstand von zwei Jahren ihr Sohn und ihre Tochter zur Welt kamen. Kitas mit langen Öffnungszeiten und Teilzeitstellen – so etwas war zu der Zeit noch nicht üblich. Damals war sie noch verheiratet, ihr Mann verdiente genug für alle vier. Die Familie lebte in einem Haus mit Garten. Finanzielle Sorgen kannte sie nicht:

"Also wir sind in Urlaub gefahren. Nicht jedes Jahr, aber in Abständen mal. Oder nach Berlin. Ich bin ja Berlinerin, hab da noch Freunde. Das war ... wir haben nie im Luxus gelebt, aber es war immer genug. Es hat gereicht, ja"

Insgesamt weniger als 1200 Euro im Monat

Unterhalt zahlen muss ihr Mann nach der Trennung nicht. Doch auch allein kommt Evelyn Meyer-Globig mit ihrem Gehalt als Krankenschwester zurecht. Heute, als Rentnerin, sieht das anders aus: Weniger als 1000 Euro beträgt ihre staatliche Rente jeden Monat. Sie liegt damit knapp über der Grundsicherung, die im Volksmund auch "Rentner-Hartz IV" genannt wird. Dazu kommt eine kleine Betriebsrente. Insgesamt hat sie weniger als 1200 Euro zur Verfügung. Nach Abzug von Miete, Nebenkosten, Versicherungen und Haushaltsgeld, bleiben ihr davon 130 Euro im Monat:

"Ich denk da nicht jeden Tag drüber nach. Aber ich denk zum Beispiel drüber nach, dass ich einfach nicht auf n Weihnachtsmarkt gehen kann mit meiner Enkelin. Das finde ich dann, dann kommt's mir wieder.Ich bin eher ne Frau, die wütend wird anstatt traurig. Weil ich denke, das kann's nicht sein, ne?
Also es kommt oft."

Die moderne Wohnung, in der sie früher gelebt hat, kann Meyer-Globig sich heute nicht mehr leisten:

"Ich hatte ne sehr, sehr schöne Wohnung. Die war'n bisschen größer, aber um die Größe geht's mir nicht. Aber die war nicht so morbid, wie hier. Und wenn man die Wohnung sich genau anguckt ... ja. Und die ist sehr, sehr kalt. Also ich leide eigentlich darunter. Wenn man ne Weile hier sitzt, dann merkt man die Kälte von unten. Es ist sehr, sehr fußkalt. Vintage, sagt meine Tochter. Es ist eine Vintage-Wohnung. Wenn man genau hinguckt, wenn man die Türen anguckt und so."

Anders gesagt: Während früher der Staat dafür sorgte, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet hatten, auch als Rentner finanziell versorgt waren, sinkt das Niveau der staatlichen Rente seit Ende der 90er-Jahre. Ein Grund dafür ist, dass immer weniger Berufstätige für immer mehr Rentner zahlen müssen. Als Ausgleich wurde deshalb Anfang der 2000er die private Vorsorge eingeführt: Fortan lastete mehr Verantwortung auf den Bürgern selbst. Vier Prozent ihres Bruttolohns sollten sie in eine private Altersvorsorge einzahlen.

Mit 56 Jahren in Rente gegangen

Monika Frener: "Für uns wäre das nicht das Ideale gewesen. Weil wenn man wirklich Geld hatte, weil man gearbeitet hat, aber da hat man's eben gebraucht. Da ist die Familie und da braucht man's und da ist die Ausbildung der Kinder und was man halt so braucht vom Haus zum wieder richten und da geht's eine hin und das andere hin."

Monika Frener sitzt am Esstisch ihres großen Wohnzimmers in Gleisdorf, einer 10.000-Einwohner-Stadt nordöstlich von Graz. Vom Wohnzimmer hat man einen guten Blick in den weitläufigen Garten. Das Zimmer liegt im ersten Stock des Hauses, das für Frener und ihren Mann inzwischen eigentlich zu groß ist. Das gesamte Erdgeschoss nutzen sie fast nur noch, wenn Übernachtungsgäste zu Besuch sind.

Frener ist seit 14 Jahren in Pension, wie man in Österreich sagt. Das Renteneintrittsalter der Frauen lag damals in Österreich noch bei 55 Jahren, Monika Frener war 56 als sie in Rente ging:

"Ich bin BKA von Beruf, also pharmazeutisch-technische Assistentin. Habe 40 Jahre gearbeitet, also insgesamt 42 Jahre Versicherung."

Privat vorzusorgen, wie es in Deutschland heute vorausgesetzt wird, das hätte sich die heute 70-Jährige während ihres Berufslebens nicht vorstellen können. Zu hoch waren die laufenden Kosten für das Haus, das sie und ihr Mann von den Schwiegereltern geerbt und schrittweise erweitert hatten. Die Freners haben einen Sohn und eine Tochter, die damals noch zur Schule gingen und später studierten. Und der Skiurlaub mit der ganzen Familie sollte schließlich auch noch drin sein:

"Ja, ich hab in einer Apotheke gearbeitet. Also mit allem Drum und Dran, was man so machen kann. In Bedienung, in Beratung, im Einkauf, im Verkauf, Rezeptabrechnung."

Bis zur Geburt ihrer Kinder hat Monika Frener Vollzeit gearbeitet. Später stieg sie mit einer halben Stelle wieder ein und verdiente rund 1450 Euro netto. Zu wenig, um alleine die Familie zu ernähren:

"Mit einer Halbzeit kann man nicht voll auskommen, wenn man Miete und Strom und Heizung und dergleichen zahlen muss."

Doch zusammen mit dem Gehalt ihres Mannes, der sich vom Handwerker zum Ingenieur weitergebildet hatte, konnte die Familie gut leben.

14-mal Rente pro Jahr

Die Rente, die Monika Frener heute bekommt, liegt mit 1200 Euro netto gar nicht so weit unter dem, was sie während ihres Berufslebens verdient hat. Im Unterschied zu Deutschland werden Rente und auch das Gehalt von Berufstätigen in Österreich aber nicht zwölf, sondern 14-mal im Jahr gezahlt: Einmal zusätzlich im Sommer, als Urlaubsgeld, und einmal im Winter, als Weihnachtsgeld. Beide Zahlungen werden zudem deutlich geringer versteuert, sodass viel mehr davon übrig bleibt. Auf den Monat umgerechnet, hat Monika Frener in Österreich also über 200 Euro mehr Rente als Evelyn Meyer-Globig in Deutschland.

Christine Mayrhuber: "Also wir beschäftigen uns schon ein bisschen länger mit dem Vergleich Deutschland-Österreich und das hat mich aus wirtschaftlicher Sicht tatsächlich sehr überrascht, wie niedrig die aktuellen Renten in Deutschland sind. Überrascht deswegen, weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen doch sehr ähnlich sind. Also wenn wir uns anschauen, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist annähernd gleich hoch. Wir haben in Österreich eine ähnliche Wirtschaftsstruktur wie in Deutschland. Wir haben eine ähnliche Entwicklung im Bereich der Lohnquote. Und wir haben im Grunde vergleichbare Sozialstaaten."

Sagt Christine Mayrhuber. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung in Wien. Obwohl es auf den ersten Blick viele Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Österreich gibt, kennt Mayrhuber auch die entscheidenden Unterschiede:

"In Summe zahlen unselbstständig Beschäftigte und ihre Arbeitgeber 22,8 Prozent der Bemessungsgrundlage in die Rentenversicherung ein. Also das ist ja deutlich höher als in Deutschland."

Hierzulande liegt der Rentenbeitragssatz derzeit bei 18,6 Prozent.

Hoher Steueranteil in der gesetzlichen Rentenversicherung

Christine Mayrhuber: "Zum anderen haben wir eine sehr hohe Abdeckungsquote. Das heißt alle Erwerbsformen sind Rentenversicherungspflichtig. Nicht nur die unselbstständig Beschäftigten, sondern auch die selbstständig Beschäftigen sind alle pflichtversichert in der österreichischen Rentenversicherung. Und der dritte große Unterschied ist, dass wir einen relativ hohen Steueranteil in der gesetzlichen Rentenversicherung haben.

Also das ist zum einen dadurch begründet, dass es Versicherungszeiten gibt, wie Arbeitslosigkeit, oder auch Kindererziehung, die als Beitragszeiten in der Rentenversicherung gelten und für diese Phasen im Erwerbsverlauf gibt es Steuermittel in die Rentenversicherung. Also die drei großen Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland sind: erstens hohe Rentenbeitragssätze, zweitens hohe Abdeckung und drittens einen recht hohen Steueranteil in der Rentenversicherung."

Bei Familie Frener in Gleisdorf sorgen die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem österreichischen Rentensystem immer wieder für Gesprächsstoff, denn Sohn Gernot arbeitet seit sechs Jahren als Ingenieur in München:

"Einkommensersatz von unter 40 Prozent. Also da ist einfach das österreichische System generöser wie das deutsche System."

Monatliche Mindestrente von 1098 Euro

Mariet van der Broeck hat einen Stapel Fotoalben aus dem Wohnzimmerregal geholt und blättert durch ihre Urlaubserinnerungen der vergangenen Jahre. Sie ist 66 Jahre alt und lebt in Alphen aan de Maas, einem niederländischen Dorf mit etwa 1600 Einwohnern, gut 35 Kilometer westlich von Nijmegen. Als sie vor einem Jahr in Rente ging, galt van der Broeck nach niederländischen Maßstäben als hilfsbedürftig.

Heute erhält sie jeden Monat eine Rente von insgesamt 1570 Euro:

"Ich war Krankenschwester für geistlich Behinderte. Und das habe ich 25 Jahre gemacht und dann konnte ich das nicht mehr. Mein Rücken war ganz kaputt und mein Bein war nicht gut, meine Knie nicht mehr. Dann habe ich eine Weile zu Hause gesessen und dann dachte ich: Da ist noch so viel anderes, was ich machen kann. Da habe ich eine Studie angefangen und dann bin ich eine Sicherheitsbeamte geworden und das habe ich drei Jahre gemacht.

Und da kam mein Rücken wieder in Aufstand und meine Beine und dann hatte ich jetzt die Jahre, dass ich sagte: Jetzt arbeite ich nicht mehr, ich bekomme mehr Schmerzen und die Beine, die Füße, die Rücken: Alles wird schlechter. Und dann habe ich gesagt: Lass jetzt die Jugend arbeiten, ich hab genug gemacht. Dann hab ich nie mehr gearbeitet. Nur noch freiwilliges Arbeiten.

Gut 1200 Euro hat Mariet van der Broeck zuletzt im Monat verdient. Nicht viel, aber sie kam damit zurecht. Van der Broecks Rente wäre allerdings dürftig ausgefallen. Doch in den Niederlanden gibt es eine Mindestrente von 1098 Euro im Monat, die jeder ganz unabhängig von seinem vorherigen Verdienst erhält.

Wer Anspruch auf diese Mindestrente hat, bekommt vom Staat zusätzlich einen Mietzuschuss, sowie eine Zulage zur Krankenkasse: Bei Mariet van der Broeck sind das insgesamt 380 Euro im Monat. Zusätzlich bekommt sie von zwei früheren Arbeitgebern eine kleine Betriebsrente von 85 Euro. In Summe macht das eine Rente von 1570 Euro im Monat.

Finanzieller Aufstieg als Rentnerin

Deutlich mehr, als sie während ihres Berufslebens verdient hat. Ihre Rente ist für sie ein finanzieller Aufstieg. Und sie bekommt weitere Vergünstigungen:

"Einmal pro Jahr bekomme ich auch noch – die Holländer sind gut – bekomme ich vom Sozialamt auch Coupons, das ist einmalig, einmal pro Jahr und das kann ich überall einwechseln. Für Lebensmittel, für Klamotten, für Friseur. Macht nichts aus, was. Das kann ich frei bestimmen, sind 100 Euro."

Im Unterschied zu Deutschland, wo aus Geringverdienern im Alter oft arme Rentner werden, bekommen Menschen mit niedrigem Einkommen in anderen Ländern eine deutlich bessere Rente: In Dänemark, den Niederlanden und Irland liegt sie häufig über dem früheren Verdienst. In Großbritannien und Luxemburg immerhin nur knapp darunter.

Von dem geräumigen Haus, in dem van der Broeck ganz alleine zur Miete lebt, können immer mehr deutsche Rentner nur träumen. Es wäre genügend Platz für eine vierköpfige Familie:

"Das ist dann meine Küche. Ist nur klein, aber genug. Und dann hab ich hier immer mein Schwimmbad stehen und mein Gartenstuhl und so, die stehen dann dort in dem Partytent. Dann gehen wir nach hinten, Toilette, ja und dann gehen wir nach oben. So dann habe ich hier ein kleines Zimmer und da habe ich meine Sonnenbank stehen. Das frühere Zimmer von meiner Tochter. Und dann habe ich hier mein eigenes Schlafzimmer. Sind alle schön groß, also, das freut mich. Und das Badezimmer. Mit einer zweiten Toilette!"

Dreiteiliges Capuccino-Modell in den Niederlanden

Für den größten Teil der Rente, die Mariet van der Broeck heute bezieht, hätte sie theoretisch nicht einmal arbeiten müssen, erklärt Rentenexperte Holger Balodis:

"In Holland, Niederlande, ist es ja so, dass dort alleine für das Wohnen schon eine gewisse Grundrente bezahlt wird. Wer 50 Jahre seinen Wohnsitz in den Niederlanden hatte, bekommt eine Mindestabsicherung, die mit über 1100 Euro monatlich sehr, sehr ordentlich ausfällt. Also das holländische Modell ist gut, hat gute Ansätze, weil es wirklich der gesamten Bevölkerung eine gute Mindestabsicherung, die zumindest zum menschenwürdigen Leben im Alter reicht, verhilft."

Cappucino-Modell nennen die Niederländer ihr Rentensystem, weil es aus drei Teilen besteht: Zum Kaffee – der Grundrente – kommt die Sahne in Form der betrieblichen Altersvorsorge. Als Kakao oben drauf gestreut wird – sofern man es sich leisten kann - die private Vorsorge. Für Mariet van der Broeck kam die jedoch nie in Frage. Ihr Gehalt hat sie stets zum Leben gebraucht. Doch das schadet ihr heute, als Rentnerin, nicht.

Finanziert wird die staatliche niederländische Rente durch eine Abgabe auf alle Einkommen, die ähnlich hoch ist wie in Deutschland. Der große Unterschied: Wie in Österreich zahlen auch hier alle Arbeitnehmer in eine Kasse ein. Dazu kommen Steuermittel vom Staat.

Zu wenige deutsche Erwerbstätige versicherungspflichtig

Holger Balodis glaubt, dass zwei Probleme gelöst werden müssen, um das Rentenniveau in Deutschland zu erhöhen und langfristig weg von der reinen Armutsvermeidung hin zu einer Lebensstandardsicherung zu kommen:

"Das Konzept der Erwerbstätigenversicherung sieht ja vor, dass nicht nur die Arbeiter und Angestellten einzahlen, sondern eben auch Freiberufler, Selbstständige, alle Mini-Jobber, Politiker, Dax-Manager, also Beamte vor allen Dingen auch. Also dass wir wirklich das volle Potential derjenigen, die hier arbeiten in Deutschland, wirklich auch für die Rentenversicherung heranziehen. Und man muss sagen: Wir haben 44 Millionen Erwerbstätige. 32 Millionen haben wir in der Versicherungspflichtigen Beschäftigung. Das ist also eine Differenz von 12 Millionen Menschen, die wir Stück für Stück in das System hineinbringen könnten."

Wenn mehr Menschen in dieselbe Kasse einzahlen, so Balodis Überlegung, kann es auch am Ende mehr Rente für alle geben:

"Und dann haben wir das zweite Problem, dass wir die Arbeitsmarktreform durchgeführt haben. Sprich, wir haben einen hohen Anteil an Niedriglöhnern, den höchsten Anteil in Westeuropa, in Deutschland. Und hier muss natürlich was passieren. Wenn man guckt: Mindestlohn alleine reicht auf keinen Fall, um eine befriedigende Rente später zu bekommen. Das muss deutlich höher liegen. Also mit den 8,84 Euro, wo wir im Augenblick glaube ich sind – das reicht bei Weitem nicht.

Wenn man sich anguckt: Was muss heute verdient werden, bei einer vollständigen Beschäftigung, um später mal eine Rente zu kriegen, die oberhalb der Grundsicherung liegt. Dann liegt man in Bereichen um die 14 Euro, wenn man nach 40 Versicherungsjahren dann eine Rente oberhalb der Grundsicherung haben will.

Also wenn man mal 40 Jahre ansetzt als Versicherungsjahre, dann muss man mehr als 14 Euro verdienen, um später mal ne Rente zu haben, die eben mindestens Grundsicherung bringt."

Knappe Altersbezüge mit unangenehmen Folgen

Wann immer es geht, versucht Evelyn Meyer-Globig aus Bremen für unvorhergesehene Ausgaben Geld von ihrer knappen Rente zur Seite zu legen:

"Ja, man muss sich was zurücklegen, aber das ist meistens immer Theorie und Praxis. Ja, ich hatte meine Nebenkostenabrechnung jetzt. Das waren, also das waren ... ja, das hab ich noch nicht überwiesen, das muss ich aber bald machen. Da kommt man halt mal einfach mal ein bisschen in die Miesen. Und dann muss man versuchen es irgendwie wieder ... .und das ist dann das Sparen. Also über ist immer selten was."

Im internationalen Renten-Vergleich schneidet das reiche Deutschland geradezu peinlich schlecht ab. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat 2015 die Rentensysteme in 34 Ländern verglichen: Nur in Mexiko, Chile und Japan bekamen Geringverdiener noch niedrigere Renten als hierzulande.

Viele Experten, wie der Politikwissenschaftler Florian Blank vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf,  plädieren deshalb dafür, das deutsche Rentensystem schrittweise zu reformieren und in Teilen an das österreichische anzupassen:

"Auch am unteren Rand der Einkünfte ist das österreichische System letztlich großzügiger, weil es einerseits insgesamt bessere Leistungen vorsieht und zweitens aber eben ne spezielle Sicherung zur Aufstockung von Niedrigrenten vorsieht. Das heißt, die haben da deutlich weniger Probleme, auch für die Menschen, die aus welchen Gründen auch immer einen Lebenslauf vorweisen können, der beispielsweise durch lange Zeiten von Krankheit, Arbeitslosigkeit oder geringen Verdienst geprägt ist."

500 Euro monatlicher Zuwachs rechnerisch möglich

Volkswirt und Publizist Holger Balodis ist ebenfalls für solch einen Wandel und dafür, die Renten in Deutschland deutlich zu erhöhen. Er ist davon überzeugt, dass dies möglich wäre:

"Wir haben das natürlich mal ausgerechnet, wie hoch die Renten eigentlich sein müssten, wenn wir die Kürzungen der letzten 20, 25 Jahre rückgängig machen würden und dann kämen wir natürlich auf eine Standardrente, die ungefähr 1900 Euro brutto im Monat ausmachen würde. Statt knapp 1400. Also wir haben derzeit knapp 1400. Die müsste ungefähr 500 Euro höher liegen und das wäre auch finanzierbar. Unserer Meinung nach."

1900 Euro im Monat – Evelyn Meyer-Globig aus Bremen würde sich damit als reiche Frau fühlen. Sie weiß, dass sie mit ihren knapp 1200 Euro monatlich schon heute nicht zu den ganz armen Rentnern gehört. Trotzdem fühlt sie sich durch die 130 Euro, die ihr nach Abzug aller Fixkosten am Monatsende davon übrig bleiben, oft ausgegrenzt:

"Da kann man vielleicht mal nach dem Chor ein Bierchen trinken, aber andere Dinge sind dann nicht mehr drin.

Ich bin nicht arm an Brot, aber arm an Rosen. Und der Mensch braucht beides zum Leben. Man möchte auch mal irgendwie mal, auf eine Insel, mal ein paar Tage weg, raus aus dem eigenen Haus. Oder mal ins Konzert oder ins Theater oder mal schön Essen gehen und mal ein Glas Wein dazu bestellen können. Das sind alles Dinge, die man nicht hat. Die gehen nicht. Und das ist ... manchmal ist man darüber auch traurig. Ich komme hin, ich hab ein Dach über dem Kopf, ich hab's warm, ich hab also Kleidung und Essen, aber ... und dafür bin ich dankbar. Aber manchmal braucht man auch Rosen."

 

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